Schuhabdruck im Gesicht

Über Sinn und Unsinn des Lebens

Zunächst zum Sinn:

Alles ist egal und das ist gerade das Reizvolle. Ob du dich davonmachst oder ob du es bleiben lässt – ob du dein Ziel erreichst oder ob du ganz woanders ankommst oder niemals irgendwo, beschäftigt bist du immer und was Besonderes tust du nie; und wenn du es erledigt hast, gibt es immer wieder etwas Neues zu tun, und wenn du Lust hast, kannst du’s anpacken, wenn’s auch gescheiter wäre, du ließest es bleiben.“

Sagt die Wasserrratte zum Maulwurf. Aus dem Kinderbuch „Wind in den Weiden“ von Kenneth Grahame. Kann ich so unterschreiben.

baby

Und nun zum Unsinn:

Wenn die da runterknallt, haste meinen Schuhabdruck im Gesicht!

Sagte eine Mutter zu ihrem Sohn, der gerade seine kleine Schwester ärgerte, bis sie anfing zu weinen. Mitgehört im Berliner Zoo.

Zunächst musste ich angesichts der primitiven Originalität dieses Satzes herzlich lachen. Dann aber wurde ich nachdenklich. Zum einen deshalb, weil der gescholtene Junge in aller Öffentlichkeit gedemütigt wurde (der Zoo war voll, überall Menschen, und seine Mutter fuhr ihn lautstark an). Zum anderen, weil ich vermute, dass jemand, der solche Sätze formuliert, auch Taten folgen lässt. Und Gewalt gegen Kinder geht einfach nicht. Passiert aber viel zu oft, wie zwei Rechtsmediziner in ihrem Buch schildern: „Deutschland misshandelt seine Kinder“ von Michael Tsokos und Saskia Guddat.

Der Berliner Tagesspiegel nimmt sich dieser Misshandlungsfälle immer wieder an und schildert sie ausführlich an prominenter Stelle (nämlich im Politikteil). Die Artikel sind sehr ausführlich und gut recherchiert. Trotzdem überlege ich jedesmal, ob ich nicht besser weiterblättern sollte, denn die geschilderten (Un-)Taten sind so grausam, dass mir schon beim Lesen schlecht wird und die Übelkeit erst Stunden später abnimmt.

Die Frage ist nur, ob das was bewirkt. Offenbar findet in der Rechtsprechung trotz allem kein Umdenken statt. Die Familie ist heilig. Kinder bleiben bei ihren Eltern, egal wie sehr sie ihnen schaden.

>> Foto von Libertinus

Wie ausgespuckt

Gerade ist ein Buch erschienen, das mir sehr aus dem Herzen spricht und thematisch gut zu meiner Blog-Parade „Beruf kommt von Berufung?“ passt, die ich letzte Woche veröffentlicht habe.
Zugegeben, ich habe nicht das Buch, jedoch einen Ausschnitt daraus in der Zeitung gelesen. „Feindbild Mutterglück – Warum Muttersein und Emanzipation kein Widerspruch ist“, so der Titel des Buches von Antje Schmelcher.

Die Autorin lebt in Berlin und somit sind ihre Erfahrungen mit dieser Stadt, die auch ich meine Heimat nenne, eng verknüpft. Mit Sicherheit hätte Schmelcher in anderen Landstrichen Deutschlands andere Erfahrungen als Mutter gesammelt. Positivere, denke ich. Doch immerhin trifft frau hier viele Gleichgesinnte 😉 Deshalb hat mich der Text ja so angesprochen: Ich begreife die Autorin als Gleichgesinnte, die genau das auf den Punkt bringt, was ich tagtäglich erlebe, für das ich aber oft keine passenden Worte finde.

Ich zitiere nun ein paar Passagen, die Parallelen zu meinem (Berufs-)Leben bilden:

Ich habe eine typische „Frauenerwerbsbiografie“. Ich habe also nicht Karriere gemacht. Manchmal emfinde ich das als ungeheure Befreiung. Dann wieder fürchte ich, etwas versäumt zu haben. Damals habe ich das Ende meines Angestellten-Daseins als herbe Niederlage empfunden. Wodurch es beendet wurde? Natürlich durch ein Kind.

[…]

Mein Angestellten-Dasein endete, weil ich mit Kind nur das Angebot bekam, auf meine Vollzeitstelle zurückzukehren. Kurz vor Einführung des Teilzeitgesetzes kündigte ich also. Eine ungheure Dummheit! Und eine ungeheure Befreiung. Trotzdem fühlte ich mich wie ausgespuckt, mit Kind war ich nicht mehr „employable“.

[…]

Das Berliner Stadtmagazin „Zitty“ veröffentlichte eine Liste mit Berlins beliebtesten Feindbildern. Darunter die „Übermutti“. Wofür wird sie gehasst? Weil sie stillt, strickt und kocht und sich öffentlich mit ihrem Kind zeigt. Und vor allem: „Ihr Becken gebar den Heiland von morgen, ihre Bedürfnisse haben Vorrang, ihr Kinderwagen hat Vorfahrt.“ Ich fand mich wieder in Comics, Zeitungsartikeln und der Frauen-Ratgeberliteratur: als böse Mutter, Ehrgeizmutter, Übermutter, Latte-Macchiato-Mutter und als Karikatur.

[…]

Trotzdem war das kaum noch denkbar: sich nicht über die Arbeit zu definieren. Ich hatte mich auf ein prekäres Freiberuflertum festgelegt unter dem Stirnrunzeln meiner stets berufstätigen Mutter. Dabei mag ich meinen Beruf sehr gern. Nur ist er in Form einer Festanstellung schwer mit Kindern zu vereinbaren. Und wer nicht vor der Geburt seiner Kinder in Vollzeit angestellt war, kann auf eine Teilzeitstelle lange warten. […] In Wirklichkeit gibt es nur Vereinbarungen zugunsten der einen und zulasten der anderen Seite. Der Rest ist Propaganda. Das alte Korsett aus Kindern, Küche, Kirche ist durch ein neues Korsett aus Kindern, Kita und Karriere ersetzt worden. Eine mutter- und kinderfreundliche Gesellschaft stelle ich mir anders vor.

Schmelcher kommt daraufhin zu dem Schluss, dass uns Frauen heutzutage tatsächlich alle Türen offenstehen: von der Astronautin bis zur Bundeskanzlerin können wir alles werden. Insofern existiert kein Unterschied mehr in den Chancen zwischen Mann und Frau. Es sei denn, die Frau wird schwanger und bringt ein Kind zur Welt. Dann ist er wieder da: der große Unterschied.

 

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